Staatsanzeiger, 20.05.2016

Ein Präventionsexperte der Polizei erläutert die Funktionen eines Alarmknopfs. In Tübingen ergänzen künftig ehrenamtliche Berater die Arbeit der Polizei. FOJO DPA

Sie sind meist arglos, hilfsbereit, und leisten wenig Gegenwehr. Ältere Menschen sind für Kriminelle leichte: Beute, wissen die Präventionsexperten der Polizei. lm Landkreis Tübingen will man Senioren künftig besser schützen – mit ehrenamtlichen Sicherheitsberatern und einem Präventionsnetzwerk. Von Jan Deininger

REUTLINGEN,/TÜBINGEN. „Hallo Oma, ich brauche Geld.” – Der Enkeltrick ist nur eine von vielen Methoden, mit denen Kriminelle das Vertrauen von älteren Menschen missbrauchen, um an ihr Erspartes zu gelangen. Damit soll im Landkreis Tübingen nun Schluss sein.

Mit vereinten Kräften will man dort ältere Menschen vor solchen und anderen Straftaten besser schützen. Dafür kooperieren das Polizeipräsidium Reutlingen, der Kreisserniorenrat, das Landratsamt und der Kreisverband des Gemeindetags. Gemeinsam will man ein Präventionsbündnis aufbauen. Damit soll das Sicherheitsgefühl der älteren Generation gestärkt werden.

Ehrenamtliche Berater sollen Arbeit der Polizei ergänzen, nicht ersetzen

Zudem hoffen die Initiatoren, weitere regionale Institutionen zur Mitarbeit in der Prävention zu gewinnen, sagt Christian Wörner vom Polizeipräsidium Reutlingen. Das Konzept sieht vor, dass ehrenamtliche Sicherheitsberater – darunter überwiegend pensionierte Polizisten, aber auch geschulte Bürger – mit Vorträgen in Seniorentreffs über Gefahren aufklären, denen ältere Menschen im Alltag ausgesetzt sein könnten. „Sie geben praktische Ratschläge zum Schutz vor kriminellen Praktiken und informieren über Angebote der kriminalpolizeilichen Beratungsstellen für einen wirksamen technischen Einbruchsschutz”, beschreibt Wörner die Aufgaben der Berater.

Die zweite Säule des Projekts sei das Präventionsnetzwerk. Die Behörden wollen ein „festes Netzwerk” schaffen, um bei konkreten Präventiorisprojekten für die Sicherheit von Senioren im Kreis Tübingen zusammenzuarbeiten. So hofft man etwa, den Opferschutzverein Weisser Ring für das Netzwerk zu gewinnen. Die Kreishandwerkerschaft könnte Informationen zum technischen Einbruchsschutz bereitstellen, Finanzinstitute vor Enkeltricks warnen. Das Landratsamt und der Gemeindetag stellen Veranstaltungsräume zur Verfügung. Zudem sollen Informationen zur Prävention in Amts- und Gemeindeblättern des Kreises veröffentlicht werden.

Obwohl Menschen über 60 Jahre – statistisch betrachtet – selten Opfer von Straftaten werden, wendet sich die Polizei bei der Präventionsarbeit besonders an die Senioren. Warum, erläuterte der ehemalige Innenminister Reinhold Gall (SPD): „Ältere Menschen leiden länger und schwerer unter den körperlichen und psychischen Belastungen durch eine erlittene Straftat.” Mit Trickdiebstählen und. Trickbetrug werde die Hilfsbereitschaft Älterer schamlos ausgenutzt.

Landesweit liegt der Anteil der Opfer von Straftaten über 60 Jahren bei rund sechs Prozent, so auch in Reutlingen (siehe Grafik). Bei Gewaltdelikten liegt deren Anteil sogar unter fünf Prozent und damit weit unter ihrem Anteil von knapp 20 Prozent an der Wohnbevölkerung des Landes.

Projekt kann als „Blaupause” für andere Kreise dienen

„Ein Bündnis in dieser vernetzten Form ist neu im Land”, sagt Hans Jürgen Stiller, Vorsitzender des Kreisseniorenrats, Tübingeri. „Wir hoffen, dass unser Beispiel Schule macht und andere Kreise und Polizeipräsidien lnteresse am Präventionsbündnis zeigen”, so Stiller. Das Bündnis gehe auf positive Erfahrungen im Kreis Esslingen zurück: Dort sind ehrenamtliche Sicherheitsberater bereits seit dem Jahr 1999 im Einsatz und stoßen auf großes lnteresse: 2013 führten sie Informationsveranstaltungen mit über 900 Teilnehmern durch.

Eine gute Sache, findet Marie-Luise Dumoulin vom Weissen Ring Tübingen: „Wir könnten uns etwa vorstellen, dass wir in einer geeigneten Runde die ehrenamtliche Arbeit des Weiss en Rings vorstellen und Möglichkeiten aufzeigen, wie im Falle eines Falles Hilfe angeboten werden kann.” Auch das Land will enger mit dem Verein zusammenarbeiten: 2015 schloss man eine Kooperationsveireinbarung ab.

Der Kreis der möglichen Adressaten für Prävention wächst: Während heute rund 16 Prozent der Kreisbevölkerung Tübingens 65Jahre und älter ist, soll diese Gruppe im Jahr 2030 rund 23 Prozent ausmachen.

Senioren als Opfer von Straftaten im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen im Jahr 2015

 Opfer insgesamtOpfer ab 60 Jahren in Prozent
Straftaten insgesamt 7750 5,9
Straftaten gegen Leben 34 14,7
Sexualdelikte 365 4,7
Raubdelikte 222 9,5
Körperverletzungsdelikte 5514 5,2
Straftaten gegen persönliche Freiheit 1399 9,3
Gewaltkriminalität 1593 4,5